Der gefürchtete Pfeifton – Was ist Tinnitus?
Ein Tinnitus ist ein Symptom, bei dem die betroffene Person ein Geräusch hört, das außer ihr niemand hören kann. Ein typisches Beispiel ist ein Pfeifton (oft als Pfeifen im Ohr oder Ohrensausen beschrieben), es kommen aber auch Rauschen, Zischen, Klopfen, Knacken oder ähnliche Töne vor. Es handelt sich dabei aber immer um relativ homogene Töne mit einer einfachen Struktur. Bei komplexeren Geräuschen, zum Beispiel sprechende Stimmen, spricht man von auditiven Halluzinationen. Dazu wird Tinnitus nicht gefasst.
In seltenen Fällen existiert das Geräusch, dass die Betroffenen hören, tatsächlich und wird vom eigenen Körper verursacht. Man spricht dann vom objektiven Tinnitus. Beispiele dafür sind der eigene Puls oder Muskelspasmen im Innenohr. Dazu kann es zum Beispiel bei Bluthochdruck und anderen Herz-Kreislaufkrankheiten kommen. Dieses Geräusch kann ein Arzt dann auch mit speziellen Instrumenten messen.
Gibt es kein solchen körpereigenes Geräusch, das der Wahrnehmung zugrunde liegt, dann handelt es sich um einen subjektiven Tinnitus.
Der subjektive Tinnitus ist weit verbreitet: Schon jeder vierte hat das Symptom schon einmal erlebt. Dabei kann die Dauer ganz unterschiedlich sein: Manchmal tritt das Störgeräusch nur ganz kurz auf (zum Beispiel nach einer starken Belastung, wie einem Discobesuch), in anderen Fällen bleibt es über Jahre bestehen. Bis zu einer Dauer von drei Monaten wird der Tinnitus als akut klassifiziert, danach (wenn der Tinnitus schon mehr als drei Monate andauert) spricht man von einem chronischen Tinnitus.
Betroffen sind vor allem Menschen zwischen 45 und 65.
Ursachen
Der subjektive Tinnitus ist ein Symptom, das bei vielen verschiedenen Krankheiten auftreten kann. Einige davon sind:
- Bei einem Knalltrauma kommt es zu Verletzungen im Innenohr durch ein sehr lautes Geräusch, etwa eine Explosion, ein Schuss, oder ähnliches.
- Ein Hörsturz ist ein plötzlicher Verlust (teilweise oder vollständig) der Hörfähigkeit in einem oder beiden Ohren. Wie genau es dazu kommt, ist noch nicht ganz klar. Man vermutet, dass eine eingeschränkte Blutversorgung zum Innenohr eine Rolle spielt.
- Fremdkörper im Ohr, zum Beispiel größere Ansammlungen von Ohrenschmalz. Diese können beispielsweise das Trommelfell oder andere sensible Teile des Innenohrs verletzen.
- Entzündungen im Ohr können durch bakterielle oder virale Infektionen verursacht werden.
- Dauerhafte Lärmbelastung spielt ein große Rolle.
- Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohrs, bei der häufig Drehschwindel, Hörsturz und Tinnitus gemeinsam auftreten. Der Grund dafür ist, dass sich Lymphflüssigkeit im Innenohr staut.
- Probleme im Bereich der Halswirbelsäule. Zum Beispiel können die Nerven, die von dem Rückenmark der Halswirbelsäule aus das Ohr innervieren, beschädigt sein. Zu einer solchen Verletzung der Halswirbelsäule kann es durch Fehlstellungen, einen Bandscheibenvorfall oder ein Schleudertrauma kommen.
- Auch Probleme mit dem Kiefer können ein Auslöser sein. Das kann eng mit Stress zusammenhängen, denn bei Stress verspannt man oft den Kiefer oder knirscht nachts mit den Zähnen. Aber auch ein Fehlbiss kommt in Frage.
Wie der Tinnitus dabei ganz genau zustande kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Man vermutet, dass es sich um eine Überreaktion des Gehirns handelt: Es versucht, eine gegebene Hörstörung (zum Beispiel durch einen Hörsturz) zu kompensieren, indem es Geräusche ‚erfindet‘. Das kann mit Phantomschmerz verglichen werden, bei dem das Gehirn auf fehlenden sensorischen Input reagiert, indem es eine sensorische Wahrnehmung simuliert. Dafür spricht auch, dass bei den allermeisten Patienten mit Tinnitus eine Form von Hörverlust besteht: meistens können genau die Frequenzen schlechter wahrgenommen werden, die von dem Störgeräusch belegt werden.
Diese vermehrte Aktivität im auditorischen Areal kann auch mittels bildgebenden Verfahren (zum Beispiel mit funktionieller Magnetresonanztomographie) beobachtet werden.
Übrigens: Wenn man gesunde Menschen ohne Hörprobleme in einem schalltoten Raum platziert, hören über 90% nach einigen Minuten einen Pfeifton oder ein Rauschen. Unser Gehirn ist also daran gewöhnt, ständig Input zu bekommen. Wenn es diesen Input nicht bekommt, dann kompensiert es, indem es Geräusche simuliert.
Behandlung
Die Behandlung zielt natürlich zunächst darauf ab, die Ursache des Tinnitus zu beseitigen. Im Akutfall werden oft zunächst durchblutungsfördernde Medikamente verschrieben, auch ohne die konkrete Ursache zu wissen. Damit wird die Blutversorgung des Innenohrs verbessert.
Manchmal findet sich jedoch keine Ursache oder der Tinnitus bleibt auch nach der Beseitigung der Ursache noch bestehen. Das passiert, wenn die entsprechenden Gehirnareale sich schon dauerhaft verändert haben. Es ist dann schwieriger, den Tinnitus wieder loszuwerden. Darum ist es wichtig, bei einem Auftreten von Tinnitus baldmöglichst einen Termin bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu machen, damit die Ursache schnell gefunden und behandelt werden kann. Je länger der Tinnitus besteht bleibt, desto größer ist die Chance, dass er dauerhaft bleibt.
In solchen Fällen ist das wichtigste Ziel, dass der Patient lernt, mit dem Tinnitus zu leben. Die Lebensqualität des Patienten kann nämlich durch den Tinnitus beeinträchtigt werden – es kann zu Schlafstörungen, Angstzuständen oder Depressionen kommen. Besonders problematisch wird es, wenn der Tinnitus zu einer Art Teufelskreis führt: Wenn Betroffene sich hilflos fühlen und sich vom Tinnitus massiv bedroht und eingeschränkt fühlen, dann konzentrieren sie sich immer mehr auf das Ohrgeräusch und der Tinnitus wird als immer schlimmer empfunden.
Glücklicherweise lernt der allergrößte Teil (etwa 97%) der Betroffenen, mit dem Symptom umzugehen. Wichtig ist hier vor allem, dass der Patient Methoden lernt, mit denen er den Tinnitus ignorieren kann und sich nicht davon irritieren lässt. Zum Beispiel kann Musikhören hilfreich sein, um sich von dem Störgeräusch abzulenken, insbesondere bei Einschlafen. Auch Maßnahmen zur Stressvermeidung sollten erlernt werden, denn Stress kann den Tinnitus verschlimmern.
Eine große Rolle bei dem Lernzprozess spielt auch Selbsthilfe, entweder online in verschiedenen Internetforen oder in Selbsthilfegruppen.
Verhaltenstherapeutische Ansätze erzielen oftmals Erfolge bei chronischem Tinnitus. Es gibt sogar eine Verhaltenstherapie, die speziell auf den Tinnitus ausgerichtet ist: Die Tinnitus-Retraining-Therapie. Die 1990 entwickelte Methode besteht aus drei Teilen:
- Aufklärung des Patienten über das Symptom. Der Patient soll verstehen, wie ein Tinnitus zustande kommt, denn Wissen und Verstehen können Ängste verringern oder sogar verhindern.
- Hörtherapie. Dabei wird ein sogenannter Tinnitus-Noiser benutzt. Dieser erzeugt ein Geräusch, das der Patient als angenehm empfindet, zum Beispiel ein Wasserplätschern – das Geräusch ist aber nicht laut genug, um den Tinnitus zu übertönen. Indem der Patient sich an das angenehme Geräusch gewöhnt, lernt er, sich auch an den Tinnitus zu gewöhnen und diesen nicht mehr als unangenehm wahrzunehmen. Diesen Prozess nennt man Habituation.
- Psychotherapie, um den Umgang mit dem Tinnitus zu lernen. Dazu kann auch autogenes Training oder eine ähnliche Entspannungs- oder Meditationsmethode gehören.
Es gibt außerdem verschiedene Medikamente, die im Einsatz gegen Tinnitus sind. Dazu zählen unter anderem Vitamin-E, Magnesium und Ginko-Präparate. Ein neuer Ansatz ist eine Stimulation des Gehirns mit transkranieller Magnetstimulation. Dabei werden die Gehirnareale, die den Tinnitus erzeugen, gezielt herunterreguliert.
Leider gibt es für die meisten Therapien, unabhängig davon ob es sich um eine medikamentöse Therapie, eine Verhaltenstherapie oder eine Stimulationstherapie handelt, bisher keine guten Studien, die die Wirksamkeit klar nachweisen würden.
Das langfristige Ziel ist letztendlich, dass der Tinnitus nicht zum Lebensmittelpunkt wird. Wenn das erreicht wird, fühlen sich die meisten Betroffenen nur noch wenig bis gar nicht davon gestört oder beeinträchtigt.